Eine junge Silberschmiedin zieht es von Deutschland in die Finnmark, um die Kultur der Samen kennenzulernen. Sie verliebt sich in das Land, die Kultur, einen Dänen und bleibt. Das Lebenswerk der beiden fasziniert heute Besucher aus aller Welt, die in Kautokeino in der Finnmark bei Juhls Halt machen.
Begegnungen in Kautokeino
Inhalt
Es ist schon viele Jahre her, dass wir diesen besonderen Ort entdeckten. Wir waren mit Kleinkind auf unserer ersten Nordlandfahrt unterwegs zum Nordkap, als unsere Reiseroute auch durch Kautokeino führte. Kautokeino. Den Ortsnamen hatte ich schon gelesen und wusste, dass der Ort als das Zentrum der samischen Kultur in Norwegen gilt. Mehr wusste ich damals nicht wirklich über den Ort und noch viel weniger über die Samen. Da wir auch unsere Vorräte auffüllen mussten, lenkten wir unser Wohnmobil auf den Parkplatz eines kleinen Supermarktes und machten unsere Besorgungen. Als wir diese später zu unserem Zuhause auf Rädern zurücktrugen, begegneten wir einer ausgelassenen samischen Hochzeitsgesellschaft, die zu Fuß die Straße überquerte und offensichtlich auf dem Weg zur Feier war, denn der fröhliche, bunte und prächtige Tross, verschwand kurz darauf in einem Gebäude, aus dem Musik zu hören war. Natürlich sahen wir hin und bewunderten die einzigartigen Trachten, den Schmuck, die Farben und den Stolz mit dem sie getragen wurden. Man nickte uns freundlich zu und winkte unserer staunenden Räubertochter fröhlich zu. Eine so flüchtige und doch einprägsame Begegnung mit einer faszinierenden Kultur. Ich nahm mir vor unbedingt noch mehr zu lesen und zu lernen, über diese Menschen, ihre Geschichte, Gegenwart und Zukunft. In diesen Gedanken versunken, kletterte ich mit Mann und Kind wieder ins Wohnmobil, denn es sollte weiter nordwärts gehen. Doch bevor der Kaiser das Wohnmobil wieder auf die Hauptstraße lenkte, sah ich aus dem Augenwinkel einen Wegweiser zu einer Silberschmiede. „Juhls` Silver Gallery“ stand darauf und auch wenn das gar nicht der Plan war, hatte ich das Gefühl: Da sollten wir hin.
Juhls` Silberschmiede Kautokeino
Die Silberschmiede liegt auf einer Anhöhe mit Blick über Kautokeino und den Kautokeinoelva, an dessen Ufer die Ortschaft liegt. Schon von außen ahnen wir, dass wir hier an einem außergewöhnlichen Ort gelandet sind. Verschiedene abstrakte Gebäudeabschnitte verschmelzen zu einem großen Ganzen, dass sich doch irgendwie organisch in die Landschaft einfügt. Viel Glas sehen wir, Mosaik, bunte Farben und ein güldenes Ei. Neugierig folgen wir dem Weg zum Eingang und betreten die Galerie Juhls.
Staunend sehen wir uns in den Räumen um, in denen es so viel zu entdecken gibt, bestaunen den Schmuck, die Architektur, entdecken einen Hühnerstall in den man durch eine Glasscheibe sehen kann, Schafe vor dem Fenster, sind hinter jeder Ecke aufs neue erstaunt und überrascht und treffen dann auf eine Frau, die uns auf deutsch anspricht. Sie zeige gerade einigen Gästen die Galerie, wir sollen uns doch gerne einfach anschließen. Das tun wir und folgen Regine Juhls durch ihr Reich. In den 50er Jahren kam die aus Ostpreußen stammende und nach Deutschland geflohene Regine nach Norwegen. Genauer gesagt reiste die junge Frau gezielt in die Finnmark. Fasziniert von der Geschichte der Samen hatte sie alles gelesen, was sie finden konnte und wollte diese Menschen unbedingt kennenlernen. In Kautokeino lernte sie außerdem ihren Mann Frank, einen Dänen, kennen und blieb. Was heute auch Reisende aus aller Herren Länder fasziniert, begann mit dem Wunsch der beiden auf einem damals noch völlig unbebauten Hügel zu siedeln. Anfangs übernahm das Paar kleinere Arbeiten für die Rentierzüchter in der Region, deren traditionellen samischen Schmuck sie reparierten, doch bald darauf begannen sie auch neue Schmuckstücke herzustellen.
Der Schmuck der Samen in der Finnmark
Mich interessiert, wie das war mit der fremden Kultur und dem traditionellen Schmuck. Ist es nicht seltsam, wenn „Fremde“ diesen herstellen? Schnell lerne ich, dass das schon früher so war. Die Samen, klassischerweise Rentier züchtende Nomaden, stellten ihren Schmuck nicht selbst her. Wie auch, wenn sie umherzogen? Der Schmuck kam Jahrhunderte lang aus Südskandinavien, Russland und dem Baltikum zu ihnen. Kugelamulette aus dem 13. Jahrhundert, die vor der Pest schützen sollten. So wie Tuch und Seide kam der Schmuck von weit her, wurde getauscht und gehandelt und mit Stolz als Zierde getragen. Der Schmuck der Samen, der nie selbst geschmiedet worden war, wurde von den Rentierzüchtern, die diesen besaßen, in Ehren gehalten, repariert, wenn etwas Schaden nahm und von Generation zu Generation weitervererbt. Die Schmuckstücke, die Regine und Frank Juhls also in den 50er und 60er Jahren zur Reparatur gebracht bekamen, waren größtenteils seit dem Mittelalter weitergereicht worden. Die Arbeit an und mit diesen Schmuckstücken inspirierte sie auch eine neue historische Schmucklinie zu entwerfen, für die Menschen der Region, die Samen, die ihre Kultur nach wie vor leben. Noch immer werden diese Schmuckstücke in der Region, für die Menschen der Region hergestellt, mit großem Respekt gegenüber der Natur und der Kultur. Und mit Stolz. Touristen wie wir bewundern diese Kunstschätze und lernen so ganz nebenbei einiges über das Volk der Samen.
Juhls ist ein Gesamtkunstwerk
Doch neben traditionellen Schmuckstücken, entdecken wir auch moderne Variationen und Regines Schmucklinie „Tundra“, die zwar auf den ersten Blick sehr abstrakt erscheint, aber auch organisch, ist sie doch inspiriert durch ihr Leben in und mit der Natur. Ich glaube auf den zweiten Blick Moos und Farn, Eis und Schnee, aber auch Wind und Tautropfen in manchen ihrer Schmuckstücke zu erkennen, die noch heute in der Werkstatt der Galerie von einem Team angefertigt werden. Ebenso wie alle anderen Schmuckstücke, die hier entworfen wurden. Regine Juhls ist täglich in der Galerie, aber vor allem auch in der Natur, genießt die Stille und Einsamkeit und drückt die Faszination der Finnmark in Silber aus. Doch es ist nicht nur der Schmuck, den sie uns zeigt. Das Gebäude selbst ist ein Kunstwerk. Nachdem das Haus stand, kam jedes Jahrzehnt ein neuer Anbau hinzu.
Ferne Kulturen in der Finnmark
Am meisten überrascht uns wahrscheinlich, als wir eine Treppe hinuntergehen und das Gefühl haben, nicht mehr im hohen Norden zu sein, sondern eher im Herzen Asiens. Wandteppiche, Schnitzereien, Bilder – der Raum erscheint wie eine Hommage und das ist er wohl auch. In den 80er Jahren reisten Frank und Regine Juhls nach Afghanistan, verbrachten Zeit mit Nomaden, mit Geflüchteten und unterstützten sie unter anderem dadurch, dass sie kunstvolle Schnitzereien mitbrachten, die sie verkauften und so Geld sammelten, dass den Menschen in Afghanistan zu Gute kam. Eine Freundschaft und ein kultureller Austausch entstand, dem die beiden auch hier in ihrer Galerie in der Finnmark Raum gegeben haben. Staunend und ehrfürchtig tapsen wir hinter Regine Juhls durch das Lebenswerk, dass sie mit ihrem Mann geschaffen hat und spüren an jeder Ecke, dass dies dennoch kein Museum ist, sondern Lebensraum. Wir sind Gast im Wohnzimmer der Juhls, wenn es auch etwas größer und einzigartiger daherkommt als gewöhnlich.
Das Mosaik
Über der Ein- und Ausgangstür erstreckt sich ein riesiges, buntes und sehr detailverliebtes Mosaik, an dem Regine Juhls noch immer arbeitet, als wir vor ein paar Jahren nochmals nach Kautokeino reisen. Frank Juhls ist inzwischen verstorben, Tochter Sunniva hat die Geschäfte übernommen, aber als ich mir den Tundra-Schmuck anschaue und mich gar nicht entscheiden kann, weil ich so viele Stücke wunderschön finde, höre ich eine Stimme, an die ich mich erinnern kann. Es ist Regine Juhls, mittlerweile über 80 Jahre alt, die einer Kundin ein paar Fragen beantwortet, um dann irgendwo in der Galerie zu verschwinden. Vielleicht ins Atelier, vielleicht etwas für das Mosaik holen oder einfach in die Natur, um die Stille zu genießen. Und wir streichen noch eine Weile durch ihren Lebensraum, dankbar diesen wunderbaren Ort erneut erlebt zu haben und verlassen Juhls` Silver Gallery später mit einem Lächeln und einem Schmuckstück als Erinnerung. Vi ses!
Infos
Hier findet ihr Juhls` Silver Gallery:
Juhls’ Silver Gallery – Galaniittuluodda – 9520 Kautokeino – Norway
Noch ein paar Kautokeino-Facts:
Kautokeino (nordsamisch Guovdageaidnu) wird hauptsächlich von Samen bewohnt, die dort erst im 18. Jahrhundert dauerhaft siedelten, nachdem die Gegend zuvor nur von umherziehenden Samen bewohnt wurde. Heute führt die Europastraße E45 durch den Ort. Die samische Hochschule “Sámi allaskuvla” hat ihren Sitz in Kautokeino. Das samische Theater “Beaivváš Sámi Našunálateáhter” sowie das norwegisch-samische Parlament “Sameting” haben einen Sitz im Ort. In Kautokeino findet jedes Jahr um die Osterzeit der “Sámi Grand Prix” statt, ein Musikwettbewerb samischer Musik, bei dem samische Künstler aus Norwegen, Finnland, Schweden und Russland in zwei Kategorien gegeneinander antreten. Die Band KEiiNO, die Norwegen beim Eurovision Song Contest 2019 vertrat, benannte sich nach Kautokeino.
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