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Joutenolo und JOMO – Die hohe Kunst des Nichtstuns 

Ohne schlechtes Gewissen einfach mal nichts zu tun fällt vielen schwer. Mir auch. In diesem Artikel gehe ich der hohen Kunst des Nichtstuns auf den Grund, teile meine Gedanken dazu und erzähle dir, was wir uns vielleicht von den Finnen abschauen können. 

Einfach mal abschalten?

Einfach mal abschalten, mal Nichtstun und die Seele baumeln lassen. Viele wünschen sich das sehnlichst und doch fällt es den meisten von uns sehr schwer. Unser oft hektischer Alltag mag ein Grund sein, aber oft sind es auch die sozialen Medien, deren nicht enden wollende Flut an Infos, Inspirationen und Ideen uns überfordert. Lustig, dass ich das schreibe, obwohl ich selbst dort sehr aktiv bin und du vermutlich aufgrund eines Instagram-Posts zu diesem Artikel gefunden hast, oder? Doch das ist nicht unbedingt ein Widerspruch. Die sozialen Medien können ganz wunderbar sein. „Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“, sagte Paracelsus schon 1538. Oft scrollen und klicken wir uns aber eben doch mehr durch die bunten Filmchen und Bildchen und Statusmeldungen und Posts und Werbung und … es macht mehr mit uns, als wir meinen. FOMO ist der neumodische Begriff für das, was dann oft passiert und auch mich regelmäßig erwischt. Fear of missing out – Die Angst etwas zu verpassen. Das kennst du vielleicht auch. Das treibt uns an oder besser gesagt um und wenn wir dann doch mal nichts tun, können wir das oft nicht ohne schlechtes Gewissen. Was das jetzt mit Finnland zu tun hat? Ich erzähle es dir. 

Joutenolo = finnisch für Nichtstun, Inaktivität, Leerlauf
Bewusstes innehalten und entschleunigen. Die Idee einfach mal nichts zu tun, ohne schlechtes Gewissen oder das Gefühl, dass man seine Zeit vergeuden würde.


JOMO = Joy of missing out
Die Freude am Verpassen. Gegenkonzept zu FOMO (fear of missing out). Mal offline gehen, sich kurzfristig „ausklinken“, einfach im Moment sein und diesen und die kleinen Dinge genießen. Bewusst verzichten und den Blick auf das lenken was ist. 

Joutenolo – die finnische Philosophie des Nichtstuns 

Nun sind die Finnen natürlich kein Volk, dass den lieben langen Tag alleine durch die Wälder wandelt oder die Hände in den Schoss legt und Löcher in die Luft starrt. Oft ganz im Gegenteil. Viele der Menschen, die ich auf meinen Reisen durch Finnland getroffen habe sind durchaus Menschen, die anpacken, Ausdauer haben, eine Art klagloser Beharrlichkeit, eine gewisse Zähigkeit oder finnisch in einem Wort ausgedrückt, Menschen mit einer ordentlichen Portion Sisu. Was ich aber auch beobachtet habe ist eine weitverbreitete enge Verbindung mit der Natur und das ganz selbstverständliche zelebrieren von Auszeiten in selbiger oder der Sauna. Alleine oder in Gesellschaft. Das können kleinere Ausflüge im Alltag sein, der regelmäßige Saunagang (gerne mittwochs und Samstags), aber auch ein Wochenende im Mökki, dem typischen finnischen Ferienhaus. Auf den Ausflügen in der Natur kommt man eigentlich immer an irgendeiner Schutzhütte mit Feuerstelle und Feuerholz vorbei und es ist absolut üblich ein paar Würstchen über dem Feuer zuzubereiten. Oder auf dem Saunaofen übrigens. Auch Kaffee wird oft über der Feuerstelle gekocht oder Stockbrot gebacken. Kleine unkomplizierte Auszeiten, die ohne schlechtes Gewissen zelebriert werden, für innere Ruhe sorgen und keinen Platz für FOMO lassen.

JOMO – einfach mal ausklinken ohne schlechtes Gewissen 

FOMO kannte ich schon, das Gefühl des JOMO, also die Freude daran etwas zu verpassen, sich mal auszuklinken, hat mich das Mökki gelehrt. Das typische finnische Ferienhaus, das zwar zwingend eine Sauna braucht, gerne in einem Wald am See steht, aber nicht unbedingt fließend Wasser, Strom oder Handyempfang hat und auch nicht haben muss. Hier reduziert sich das Leben auf ganz einfache Dinge wie Holz machen, Feuer machen, Essen zubereiten, saunieren, lesen oder einfach so zu sein. Bei Ankunft fällt das noch schwer, aber bereits der erste Saunagang wäscht ganz viel vom Alltagsballast und Stress ab und schnell kreisen die Gedanken nicht mehr rastlos, sondern konzentrieren sich auf das Hier und jetzt. Mittlerweile bin ich sogar manchmal ganz froh, wenn das Handynetz eher mäßig vorhanden ist. Ich genieße dann die kleinen Dinge, lade meine inneren Akkus und leere meinen Arbeitsspeicher im Kopf. So ein Ausklinken auf Zeit kann wirklich gut tun und ist mir in Finnland als deutlich selbstverständlicher erschienen. Rund um Juhannus klinkt sich gefühlt das komplette Volk aus und zu Beginn der Sommerferien braucht man nicht versuchen noch irgendein Projekt anschieben zu wollen. Die finnische Seele macht Urlaub, nicht immer, aber sehr oft im Mökki und gibt sich der hohen Kunst des Nichtstuns hin. Und wenn man sich dann ganz ohne schlechtes Gewissen etwas erholt hat, innere Ruhe gefunden hat und wieder „einklinkt“, gelingt auch das mit der zähen Beharrlichkeit und dem Sisu wieder viel besser.

3 einfache Tipps für mehr JOMO und Joutenolo im Alltag

1. Waldbaden (Japanisch: shinrin-yoku)

Das Waldbaden kommt wohl aus Japan, kennengelernt habe ich es in Finnland, machen kannst du es überall, wo es Wald gibt. Wer der finnischen Sprache mächtig ist, der interessiert sich vielleicht für das Buch „Metsämieli“ von Sirpa Arvoinen, aber auch auf deutsch gibt es Literatur. Vielleicht muss man es aber auch gar nicht so kompliziert machen. Geh in den Wald. Lauf ein kleines Stück. Wenn du merkst, dass der erste Stress ein wenig nachgelassen hat, dann bleib stehen und schließe die Augen. Nimm wahr was du hörst. Deinen Atem? Vögel? Laubrascheln? Nimm dir einen Moment, bevor du weitergehst. Bleib ein Stück weiter wieder stehen und achte darauf, was du riechst. Schließe eine Weile die Augen und erlebe dann ganz bewusst, was du alles sehen kannst. Die großen Dinge und die kleinen Details. Berühre das Moos, die Baumrinde. Genieße den Moment im Hier und jetzt. Einfach mal nur sein. Im Wald geht das wunderbar. Mag sein, dass wer anders wo anders gerade irgendetwas total aufregendes erlebt. Aber ist das wichtig? Nein. Im Wald wird aus FOMO oft ganz schnell JOMO und ich habe auch kein schlechtes Gewissen, jetzt nicht dies, das oder jenes zu tun. Der Wald wäscht diese Gedanken weg. Waldbaden eben. 

Vielleicht packst du dir auch eine Kanne Kaffee oder Tee ein und eine Zimtschnecke, bleibst noch einen Moment an einer schönen Stelle und übst dich darin dich ganz ohne schlechtes Gewissen kurz auszuklinken. 

2. Tree hugging

Apropos Wald: Umarme doch mal einen Baum. Ja, das ist mein voller Ernst. Ich mache das auch oft. Als Kind habe ich das ab und zu gemacht, aber als Erwachsene nicht mehr. Es kam mir albern vor. In Finnland habe ich das Bäume umarmen wieder entdeckt, denn hier gibt es viele Menschen, die das ganz selbstverständlich tun und es gibt (wie sollte es auch anders sein) die Weltmeisterschaften im Bäume umarmen. Aber auch, wenn das eine tolle, kreative und lustige Veranstaltung ist, die ganz „nebenbei“ noch mehr Bewusstsein für die Natur schafft, brauchst du kein Event, keinen Rahmen oder eine fancy Challenge. Such dir einen Baum, nimm ihn in den Arm und entspann dich. Umarmungen setzen Oxytocin frei, dass nicht nur für Wohlbefinden sorgt, sondern zum Beispiel auch den Blutdruck senkt. Einfach gut auch für die mentale Gesundheit.

3. Sauna

Wie könnte es auch anders sein, habe ich die Sauna auch erst in Finnland so richtig verstanden und lieben gelernt. Ich könnte jetzt den Rahmen dieses Artikels völlig sprengen, in dem ich umfangreich über die Saunakultur der Finnen berichte, aber vielleicht darf ich euch dazu lieber die „Lobhudelei auf die Finnische Sauna“ vom No-Niin-Podcast ans Herz legen und mich hier auf eine Art Fazit beschränken. Die Sauna ist in Finnland ganz regelmäßig selbstverständlicher Bestandteil des Alltags. Es sind kleine, gut platzierte Auszeiten, die Körper UND Geist reinigen, etwas meditatives und erdendes haben. Ein Moment des Innehaltens und Nichtstuns, ganz ohne schlechtes Gewissen. Im Gegenteil. Ich glaube, die Sauna spielt eine große Rolle bei der Frage, warum die Finnen seit Jahren auf Platz eins des World Happiness Reports stehen. Leider habe ich selbst (noch) keine Sauna zuhause, aber dann muss es eine heiße Dusche oder ein Bad mit abschließender Abkühlung und einem Moment für mich sein. Ohne Handy, ohne Stress und ohne schlechtes Gewissen. 

Fazit

Die Finnen schätzen die Natur, Momente der Ruhe und es scheint, als sei „Joy of missing out“ etwas, dass ganz selbstverständlich Bestandteil ihrer Lebensweise ist. Ich zumindest habe von den Finnen gelernt mich wieder mehr mit der Natur zu verbinden und mehr Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren. Etwas mehr „slow living“ und Nichtstun (Joutenolo) ohne schlechtes Gewissen. Die finnische Natur und die Sauna macht es einem natürlich auch einfacher, aber zumindest Natur gibt es auch bei uns. Und vielleicht doch öfter mal das Handy weg legen und den Laptop zuklappen. Das mache ich jetzt auch.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des #slowvember2024 unter dem Motto #sevenmindfulmoments. Der Slowvember mit dem finnischen Twist ist eine Idee und Instagram-Themenwoche von KOLME K. In diesem Jahr sind neben mir, Finnweh und Mahtava noch Happiness meets life, Moi Marjana und Finnomenal Lapland dabei.


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