Immer wieder Helsinki
Wird das nicht langsam langweilig?“, werde ich oft gefragt, wenn ich (mal wieder) nach Helsinki reise. Ich verstehe die Frage nicht. Ein Lieblingslied hört man doch auch immer wieder. Oft liest man sogar das Lieblingsbuch mehrfach oder schaut den Lieblingsfilm unzählige Male. Wieso soll also gerade eine Stadt, die ohnehin immer in Bewegung ist, langweilig werden? Ich jedenfalls freue mich auch dieses Mal wieder wie ein kleines Kind auf den Besuch. Helsinki im Januar. Hatte ich auch noch nicht. Der Finnair-Flieger fliegt mir viel zu langsam, doch irgendwann spuckt er uns endlich in Vaanta am Flughafen aus. Koffer holen, ab in den Finnair-Bus (Tipp: gleich ein Return-Ticket kaufen) und – man ahnt es schon – freuen, dass das Handy sich automatisch mit dem WLAN verbindet. Endlich wieder hier. Vertraut und fremd zugleich. Und obwohl ich schon so oft in diesem Bus saß, entdecke ich etwas Neues: Steckdosen! Ihr könnt im Bus ganz komfortabel das Handy laden. „Everything works a bit better in Finland“, seufzt meine Mitreisende. Das dünenmädchen. Und sie hat ein bisschen recht.
Einen kurzen Einkauf und eine Tramfahrt (Nr. 4) später, kommen wir im Schullandheim, pardon, dem Hostel an. Eurohostel Katajanokka. Der Zimmercharme irgendwo zwischen Jugendherberge und Kaserne. Aber sauber ist es und für 2 bis 3 Nächte durchaus in Ordnung. (Ohrstöpsel einpacken. Die Wände sind dünn wie Knäckebrot.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, es wird Zeit. Also werfe ich mir den IFK-Schal um und wir steigen erneut in die Tram, um rechtzeitig zum Beginn des Eishockeyspiels in der Jäähalli zu sein. Ich liebe Eishockey und den Helsingin IFK spielen zu sehen, ist ein Muss. Obwohl die Mannschaft wirklich nicht schlecht ist, habe ich sie bisher nicht gewinnen sehen. Das ändert sich auch beim jetzt besuchten, nervenaufreibenden Spiel nicht. Da werde ich wohl einfach nochmal wiederkommen müssen. Nun. Es könnte schlimmer sein …
Der Abend ist noch jung und wir setzen uns in eine Bar, um auf unseren Trip anzustoßen. Lange hält es uns aber nicht drin. So lecker der Cocktail und so freundlich die Bedienung auch ist.
Uns zieht es auf die Straßen Helsinkis, über denen noch die Weihnachtsbeleuchtung angebracht ist. In den festlich beleuchteten Esplanadi-Park. Durch die Gassen. An den Dom. Ankommen. Genießen. Sich ein bisschen in der Stadt verlieren.
Ich liebe den Moment, wenn du aufwachst und realisierst, dass du im Urlaub bist. In Finnland. In der Lieblingsstadt. Ein neuer Tag vor dir liegt, mit neuen Möglichkeiten. Der Leitgedanke dieses Morgens ist eindeutig: Korvapuusti! Zielstrebig machen wir uns auf den Weg ins Café Ursula, um eins der leckeren Zimtteilchen zu verspeisen. Das Café liegt am Wasser, am Rande des Kaivopuisto, dem ältesten und vielleicht bekanntesten Park Helsinkis. Generell eine schöne Ecke zum Spazierengehen, Zeitvertrödeln und zum Genießen. Doch heute haben wir es etwas eiliger, da ich noch einen Termin habe. Dazu vielleicht ein anderes Mal mehr
Nach dem Termin lassen wir uns einfach etwas durch die Stadt treiben. Bummeln am Hafen entlang und vor allem durch die Alte Markthalle. Die Vanha Kauppahalli ist ein Backsteingebäude von 1888, das in unmittelbarer Nähe zum Hafen am Marktplatz liegt. Die aus Holz geschnitzten Stände bieten allerlei Delikatessen, nicht nur aus Finnland. Von Fisch über Macarons bis hin zu nordischer Marmelade findet sich alles. Dazwischen immer wieder Restaurants und Cafés im Miniformat.
Doch das ist nicht unser Ziel. Uns zieht es weiter ins Skiffer Errotaja. Liuska ist unser Begehr. Das Wort Pizza beschreibt nicht annähernd, wie lecker es schmeckt. Liuska sind dünn und knusprig. Mehr so ein Hybrid aus Flammkuchen und Pizza. Mittags gibt es immer 2 zur Auswahl für verhältnismäßig kleines Geld. Bestellt und bezahlt wird an der Theke. Der Belag klingt oft exotisch, stellte sich aber bisher immer als lecker heraus. Diesmal finden Brie, Birne, Nüsse und Ruccola den Weg auf die Liuska. Und natürlich schmeckt es.
Während ich so genüsslich die letzten Bissen kaue, fällt mein Blick über die Schulter des dünenmädchens, durchs Fenster. Ist das …? Tatsache. Sonne! Kaum ist der letzte Bissen verspeist, satteln wir die Hühner und machen uns zielstrebig auf den Weg zum Hotel Torni. Moment. Was wir jetzt im Hotel wollen? Im 12. Stock des Hotel Torni führt eine schmale Wendeltreppe in die Ateljee Bar, deren Balkon einen atemberaubenden Blick über die Stadt bietet (das Klo im Übrigen auch.) Das können wir uns bei diesem Wetter nicht entgehen lassen und so stehen wir auf dem Balkon, bis uns Hände und Nasen einfrieren. Das Lächeln bleibt. Der Blick schweift über die Stadt. Bleibt an bekannten Punkten hängen. Dom. Finnair Wheel. Uspenski-Kathedrale. Die Achterbahn von Linnanmäki. Töölönlathi. Ach Helsinki, du bist so unaufgeregt und doch so aufregend.
Wir könnten ewig hier stehen. Aber es ist doch irgendwann ziemlich frisch und außerdem haben wir am Abend noch etwas vor. Also hüpfen wir am Stockmann in die 4 und fahren zurück ins Hostel, um uns umzuziehen.
Wer mich kennt, weiß, wie wichtig mir Musik ist. Also darf sie auch in Helsinki nicht fehlen. Im Koko Jazz Club tritt an diesem Abend Osmo Ikonen auf und so fahren auch wir in den Club im Stadtteil Kallio. Unscheinbar von außen, entpuppt sich der Club als sehr gemütlich von innen. Wir nehmen an einem der kleinen runden Tische im Kerzenschein Platz und stoßen mit einem Lonkero (Longdrink aus Grapefruitlimonade und Gin) an. Wir haben einen wundervollen, unterhaltsamen Abend mit unglaublich guten Musikern (Lenni-Kalle Taipale am Piano muss man definitiv erlebt haben) und amüsieren uns köstlich. Im Verlauf des Abends finden wir heraus, dass die junge Frau, die Thekendienst hat, einmal an einem Schüleraustausch teilnahm und einige Zeit in Sachsen verbrachte. Sie verrät uns, dass sie den Dialekt unheimlich gerne mag und so kommt es, dass wir uns zu späterer Stunde mitten in Kallio mit einem herzhaften „Ferdsch jetzt“ von ihr verabschieden. Nun. Warum auch nicht?
Nachdem wir den nächsten Morgen gemütlich angegangen sind, im Kamppi einige Besorgungen erledigt und uns ein Päuschen im Espresso House gegönnt haben, während es es anfing zu schneien, zieht es uns erneut ans Wasser. Genauer gesagt über einen Steg nach Uunisaari. Der Steg liegt hier nur im Winter. Im Sommer fährt eine kleine Fähre. Vorsichtig tasten wir uns vorwärts, es ist stellenweise einfach furchtbar glatt. Nachdem wir einen einigermaßen eisfreien Weg gefunden haben, schaffen wir es tatsächlich bis zu meinem Herzensort. Ich habe keine Ahnung, was es ist. Es gibt so viele Lieblingsplätze in dieser Stadt, aber irgendwas hat genau dieses Fleckchen Erde für mich. Auch in grau und bei leichtem Schneefall.
Nachdem wir uns später mit leckerer Pasta gestärkt und dabei den Ausblick auf den Hafen genossen haben, steht auch heute Abend Livemusik auf dem Programm. Das Puotilan Kartano liegt außerhalb, ist aber per Metro und einem kleinen Spaziergang gut zu erreichen, wenn es nicht gerade so glatt ist wie an diesem Januarabend. Wir kommen ohne Sturz an. Andere hatten leider weniger Glück und so sieht man hier und da Eisbeutel auf Knöcheln und Nasen. Wirklich aufhalten kann das freilich niemanden. Die Location stellt sich als ein wunderschönes historisches Gebäude heraus. Das rote Holzhaus kann allerdings nicht ausgiebig von uns bewundert werden, da wir, wie erwähnt, damit beschäftigt waren, heil über die vereisten Wege zu gelangen. Innen dominieren neben weißem Holz Kronleuchter und Wandlüster. Ein schönes Ambiente, in dem wir heute Osmo Ikonen mit den Kartano Allstars (Riku Rajamaa, Tomi Salesvua und Heikki Laine) genießen dürfen. Es ist ausverkauft und kurz vor Beginn füllt sich der kleine Saal. Es wird ein kurzweiliger Abend, daran ändern auch diverse finnische Ausdruckstänzerinnen nichts, die aufgrund des Alkoholkonsums ihre Zurückhaltung komplett vergessen. Ich fühle mich ein bisschen wie “Matti the Finn” und erlebe meine eigenen “finnish nightmares”, als eine der Tänzerinnen meinen persönlichen Bereich überschreitet und Körperkontakt sucht. Glücklicherweise tanzt sie kurz darauf wieder Richtung Bar und taucht nicht wieder auf. Der Blick, den ich mit den umstehende Finnen wechsle, überwindet mühelos die Sprachbarriere und eint uns ohne Worte. Man schenkt mir sogar ein zaghaftes Lächeln. Es ist echt und somit selten. Da es spät wird, teilen wir uns ein Taxi mit anderen zurück nach Katajanokka. (Wer des Nachts unterwegs ist, beachte immer die Fahrzeiten der Öffentlichen.
Der letzte Tag bricht an, aber wir verscheuchen schnell den aufkommenden Abschiedsschmerz und sehen zu, dass wir unsere Koffer packen und in der Kofferaufbewahrung des Hostels abstellen. Mit dem 24er Bus fahren wir Richtung Hietaniemi und laufen zum Cafè Regatta. Der Besuch dieses Kleinods ist unumgänglich. Das Regatta hat die besten Korvapuusti und die beste Atmosphäre, um zu entschleunigen und Erlebtes Revue passieren zu lassen.
Ein bisschen Wehmut kommt natürlich doch auf und selbst der Kakaorest ist eindeutig traurig, dass wir gehen.
Bevor es aber zurück geht, haben wir noch etwas Zeit, bummeln noch ein letztes Mal am Wasser entlang und fahren erneut in die Ateljee Bar, um uns von „unserer“ Stadt zu verabschieden, den Blick noch einmal schweifen zu lassen.
Wir lächeln. Wir kommen wieder. Ganz sicher. Im Hostel sammeln wir den Koffer ein, fahren mit der 4 ins Zentrum und mit dem Return-Ticket per Finnair-Bus zurück zum Flughafen. Ein freundlicher Herr checkt ratz-fatz unser Gepäck ein und auch, dass mir in der Sicherheitskontrolle mein Boarding Pass abhandenkommt, ist kein Problem. „Everything works a bit better in Finnland“… Es ist etwas Wahres dran. Kiitoksia Helsinki. Kittoksia Suomi. Dankeschön. Bis bald.
„,Am besten, ihr geht jetzt nach Hause‘, sagte Pippi, ,damit ihr morgen wiederkommen könnt. Denn wenn ihr nicht nach Hause geht, könnt ihr ja nicht wiederkommen. Und das wäre schade.‘” – aus Pippi zieht in die Villa Kunterbunt ein von Astrid Lindgren
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